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Streifzüge durch das künstlerische Werk von Anita Regli

Ein Text der Kunst- und Geschichtswissenschaftlerin Jana Bruggmann über das künstlerische Schaffen der Urner Künstlerin Anita Regli.

Flüchtig wie in Auflösung begriffen, fliessen die einzelnen Farbebenen auf Anita Reglis Bildern ineinander, überlagern sich, setzen temporäre Grenzen, die jedoch stets in der Schwebe bleiben. Ein ständiges Werden und Vergehen, ein Ab- und Auftauchen, als würden die Bilder atmen. Da und dort scheint sich undeutlich ein Horizont, ein Orientierungspunkt im Raum, abzuzeichnen, nur um alsdann wieder zu verblassen.

Was Anita Reglis Arbeiten bisher geprägt hat, nämlich ein ausserordentliches Bewusstsein für die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz, schimmert auch hier durch. Die Einsamkeit des Einzelnen ist nun aber der Verzweiflung gewichen. Das Nichtwissen ist nicht mehr bedrohlich, die geheimnisvolle Tiefe nicht mehr beängstigend, vielmehr strömen die Bilder eine Intimität und Wärme aus, welche die Betrachtenden zum Eintauchen einladen. Fast als wollte sie sagen: Es ist nicht schlimm, dass wir nichts wissen.

Dennoch stellt Anita Regli genauso wenig Fragen, als dass sie Antworten auf Probleme gibt. Was sie tut, ist, diese Spannung des Nichtwissens auszuhalten. Sie hat den Mut, Wortlosigkeit stehen zu lassen, wie sie ist, und diesem Zustand in der Schwebe nicht nur zu begegnen, sondern auch von diesem ergriffen zu werden. Sie entzieht sich für einmal dem rationalen Ordnen und Analysieren und den erdachten Strukturen, an denen wir uns festhalten. Oder wie es bereits Karl Raimund Popper ausgedrückt hat: «Durch unser Wissen unterscheiden wir uns nur wenig, in unserer grenzenlosen Unwissenheit aber sind wir alle gleich.»

Dem menschlichen Wunsch nach rationaler Ordnung stellt sich Anita Regli auch mit ihrer Fotoserie «Dawn» entgegen. Die Präparierung toter Tiere zu wissenschaftlichen Zwecken hat eine lange Tradition. Die Zurichtung der toten Körper nach menschlichen Kriterien, der Versuch, Natur zu rekonstruieren, hat dabei zugleich etwas Gewaltsames, da die Tiere keinerlei Macht mehr innehaben, sich dieser Instrumentalisierung zu verweigern.

Doch trotz des Versuchs, die Natur zu ordnen und zu katalogisieren, entgleitet das Lebendige immer wieder dem menschlichen Zugriff. Es bleibt ungreifbar, klischeebehaftet – modellhaft. Anita Regli macht dies damit nur umso deutlicher, als dass sie die Tiere in ihrer Photoserie «At Dawn» in ihrer vermeintlich angestammten Umgebung fotografiert und dabei die «Vermenschlichung» auf die Spitze treibt.

Etwas Märchenhaftes haben diese Waldbilder mit ausgestopften Tieren, wo sich Fuchs und Reh zum trauten Picknick treffen oder der Rabe dem Reh eine Geschichte erzählt. Die ausgestopften Tiere werden damit als Projektionsfläche entlarvt, zugleich verkommt der Wald jedoch zur reinen Kulisse für ein unwirkliches Geschehen. Paradoxerweise wirken die toten Tiere echter als der lebendige Wald.

Es drängt sich der Vergleich mit Dioramen auf, die in zahlreichen naturkundlichen Museen zu finden sind. Als würden ausserhalb des fotografierten Ausschnitts die Ränder dieser Kulisse sichtbar, als hätten diese Bilder eine Rückseite, hölzerne Träger, welche die Kulisse stützten, und ein komplexes Beleuchtungssystem zur Simulation verschiedenster Lichtzustände.


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